Alles auf eine Karte setzen

Neue Berufsbekleidung

Im Fall dieser Geschichte ist das die Speisekarte. Tom erzählt, wie er es geschafft hat, Zahlenkolonnen gegen Kochlöffel zu tauschen.

Nach einem Viertel-Jahrhundert feiern Eheleute normalerweise ihre Silberne. Ich entschied mich nach genau 25 Jahren »Bankertum« für eine Trennung. Und zwar vom bisherigen Broterwerb. Zumindest aus heutiger Sicht lag ich damit goldrichtig.

Vor drei Jahren war ich mir mit dieser Entscheidung alles andere als sicher. Immerhin gab es viele Faktoren, die ich miteinrechnen musste. Zu denen komme ich aber erst später. Denn meine Geschichte beginnt natürlich weit vor meiner Entscheidung zum Stellungswechsel. Nämlich mit der Zeit nach der Matura.

Mit meiner Ausbildung an der HAK Innsbruck war mein Weg in den Beruf schon vorskizziert. Ich musste nur den ersten Schritt in die angezeigte Richtung tun. Deswegen startete ich in einen Bewerbungsprozess und entschied mich schlussendlich für eine Tiroler Regionalbank, mit Niederlassungen in Wien und eben Tirol. Meine Einsatzgebiete. Für 25 Jahre. Und diese Zeitspanne hatte auch durchaus ihren Grund.

Passion x Fruits

Im Lauf der Jahre durfte ich viele großartige Begegnungen miterleben. Ich konnte mit meinen KundInnen Lösungen für ihre Vorhaben und Leidenschaften entwickeln. Auch in schweren Zeiten. Oder an Kultur-Sponsorings mitwirken, die es meiner Einschätzung nach verdienten, Subventionen zu erhalten. So schaffte ich es oft, meinen Kultur- und Zwischenmenschlichkeits-Idealismus mit dem Bank-Geschäft zu verbinden. Brücken zu bauen.

Auch meine KollegInnen waren mitunter ein Grund, warum mir der Wechsel schwerfiel. Unter ihnen gibt es einige, die diesen Beruf mit echter Passion erfüllen. Und das in einer Branche, wo es oft den Anschein hat, dass nur harte Zahlen zählen. Paradox. Aber es gibt sie auch in Banken, die Leidenschaft für Menschen und ihre Anliegen.

Geerbte Geschmacksverstärker

Die Küche übt auf mich seit der Kindheit eine starke Anziehungskraft aus. Und das nicht nur, um auf Herdplatten zu greifen. Bereits meine Großeltern nutzten beispielsweise den regionalen Obst- und Gemüseanbau als Lebensgrundlage. Später kam noch ein Beherbergungsbetrieb dazu. Sie hatten es geschafft, gesunde und rentable Gewerbe aufzubauen. Und das zu einer Zeit, als das Schlagwort »Nachhaltigkeit« noch kein Modewort, sondern eine Selbstverständlichkeit war. Meine Liverpooler Gene mütterlicherseits sorgten dafür, dass World Music und Global Cooking mich prägten.

Mein Vater war Leiter einer renommierten Weinmanufaktur in Innsbruck. Diese genetischen Ingredienzien bilden vermutlich die Basis für meine grundsätzliche Freude an qualitativen Lebensmitteln und wertigen Grundprodukten. Und auch für das Gefühl, wenn ich Begeisterung sehe. Die Begeisterung, die ich Menschen mit gutem Essen bereiten kann.

»Kochen« war für mich also schon immer Thema. Immer suchte ich nach Möglichkeiten es »richtig« zu lernen und über meinen Amateur-Status hinauszuwachsen. Aber erst 2018 war es dann so weit: Eine Chance tat sich auf.

Reduktion. Auch auf das Wesentliche.

Die Bank-Branche hat nicht erst seit 2018 mit steigendem Druck zu kämpfen. Ich war zuletzt Kundensegment-Manager. Die letzten Jahre hatten mich in kreativer Hinsicht abgestumpft. Ich brauchte Veränderung. Meine Bank musste zur selben Zeit aufgrund branchenbedingter Umstände MitarbeiterInnen reduzieren. Und tat das auf sozial verträgliche Weise. Für mich ergab sich so die Möglichkeit in eine Arbeitsstiftung einzutreten. Ein wertvoller (Um)Orientierungsraum.

Wohin es gehen sollte, wusste ich. Allerdings fehlte mir eine Antwort auf das »Wie«.

Meine Hauptsorge war, meine zwei großartigen Söhne nicht mehr wie gewohnt unterstützen zu können. Bevor ich also lernen konnte, Fonds und Saucen zu reduzieren, musste ich dasselbe mit meinem Lebensstandard tun. Ich verwendete genau die Haushaltsrechnung, die ich jahrelang in meinem Job nutzte und begann zu rechnen. Für meinen letzten Kunden. Für mich selbst.

Leben: Einmal kräftig umrühren, bitte.

Das Ergebnis meiner Rechnung war, grob gesagt: »Das muss sich einfach irgendwie ausgehen«. Ich entschied mich für eine berufsbegleitende Umorientierung mit starkem Fokus auf die Gastronomie. Eine Möglichkeit hierfür bietet in Innsbruck das Tourismuskolleg. Im Rahmen dieser breiten, touristischen Ausbildung erlernte ich sowohl inhouse professionell zu kochen, als auch durch Praktika.

Die letzten Jahre stand ich beispielsweise in einem israelischen Restaurant hinterm Herd und habe in der Markthalle Innsbruck hochwertigen Käse verkauft. Alles quasi von der Pike auf.

Seit einem Jahr koche ich bei einem jungen Innsbrucker Unternehmen, dem Futterkutter.

Aus einer mobilen Fahrrad-Küchen-Installation servieren wir Gerichte aus der ganzen Welt. Und zwar alles im wiederverwertbaren Einmachglas – das Spektrum reicht vom Thai Curry über Maiwipfel-Fleisch bis zur Lasagne. Zu finden ist der Futterkutter mitten in der Innsbrucker Innenstadt, am Franziskanerplatz und bei ausgesuchten Caterings und Veranstaltungen. Das Konzept geht auf wie Germ. Wer einmal die Gelegenheit hat: Unser Publikum schwärmt für unsere Curries und die Lasagne im Glas.

Der ewige Trend zum Food.

Durch das Tourismuskolleg hatte ich die Möglichkeit bei Kochwettbewerben mitzuwirken und auch sonst ergeben sich immer wieder wertvolle Erfahrungen. Wie beispielsweise bei der »Nordischen Skiweltmeisterschaft 2019« in Seefeld, wo unser Jahrgang Presse und VIP-Gäste bekochen konnte.

Die gesammelten Eindrücke und das Gelernte binden meine Begeisterung für den neuen Beruf. Und alles festigt täglich auf’s Neue, dass die Entscheidung in die Küche zu gehen richtig war. Meine Ausbildung ist noch nicht abgeschlossen, aber der Wechsel vollzogen. Ich habe alles auf eine Karte gesetzt. Damit Tageskarten meinen Tagesablauf bestimmen. Und dadurch ich selbst. Das macht mich ziemlich glücklich. Und auch ein bisschen stolz. Es ist mein Erdbeerfeld. Für immer.


Tom Eichler,  Anglo-Tiroler und Koch in Ausbildung, studiert am Tourismus College Innsbruck, berufsbegleitend und kocht beim Futterkutter Innsbruck.


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