Unfreiwillige Veränderung nutzen und neue Gipfel erklimmen

Das erste, improvisierte eigene Büro

Ein User erzählt, wie er durch eine unfreiwillige Veränderung zu neuem Mut und einer neuen Karriere gefunden hat.

Jahrgang 1957, habe ich nach einem Dolmetsch- und Übersetzerstudium (Englisch, Spanisch) in Wien und Edinburgh, zwei Jahre freiberuflich gearbeitet. Ab 1988 war ich in einem internationalen Umfeld als Übersetzer und Media Analyst zunächst für österreichische und deutsche, später dann für spanische und portugiesische Medien zuständig. Mit der Übersiedlung der Agentur nach London im Jahr 2017 war mein Job weg. Ich wäre bereit gewesen mitzugehen, musste mich in einem demütigenden Videointerview für meinen Job neu bewerben, um ihn dann nicht zu bekommen. Es folgten zwei Kurzzeitjobs als Karenzvertretung.

Von Arbeitsverlust und Älterwerden

Nachdem die Kündigung ausgesprochenen war, holte ich mir an den mir zur Arbeitssuche zustehenden Tagen Unterstützung bei einer Outplacement Beratungsfirma – eine Dienstleistung, die mein Arbeitnehmer noch finanzierte. Das Wichtigste, das ich mitnahm, war mich nicht schlecht zu fühlen oder gar zu schämen, AMS Leistungen in Anspruch zu nehmen. Das zweite war die Erkenntnis, dass meine einzige Chance, weiter an einem aktiven Arbeitsleben teilzunehmen, Eigeninitiative und meine persönlichen Kontakte sein würden.

Obwohl ich den Arbeitsverlust schnell auch als eine Chance wahrnahm, noch einmal was anderes auszuprobieren – was ich sonst mit 59 Jahren sicher nicht mehr gemacht hätte – war dieser Prozess jedenfalls sehr anstrengend, zumal er sich mit dem des Älterwerdens paarte. Die Hürden, die es dabei zu überwinden galt – komplettes Unverständnis der AMS Betreuerinnen und Betreuer, dass ich noch arbeiten will und nicht einfach die Pension anstrebe – waren und sind jedenfalls höher als erwartet.

Das Richtige finden

Nach dem Wegbrechen einer Struktur, die 30 Jahre meinen Tagesablauf gekennzeichnet hatte, war ich zu Beginn der Arbeitslosigkeit vor allem völlig orientierungslos. Zunächst wollte ich ganz weg von meinem Metier und überlegte, eine Jazzbar zu eröffnen oder Trauerredner bei einem Bestattungsunternehmen zu werden und führte auch bereits Gespräche in beide Richtungen.

Auf der Freiwilligenmesse im Wiener Rathaus im Herbst 2018 hörte ich erstmals von einem Senior Experts Programm für Menschen über 50 und ich begann mich bei einer NGO als Freiwilliger für einen Auslandsaufenthalt zu bewerben. Das Hauptproblem der fehlenden Tagesstruktur war damit aber noch nicht gelöst. Ich brauchte eine Beschäftigung – und zwar sofort. Nie zuvor hätte ich mir gedacht, dass mein Tag nicht ausgefüllt sein könnte, wenn ich mich mit meinen Dingen beschäftigte.

Just nach einem unangenehmen AMS-Termin kam ich auf die Idee, eine Ausbildung als allgemein beeideter und gerichtlich zertifizierter Dolmetscher für die englische Sprache zu beginnen. Es war etwas, dass ich unmittelbar nach meinem Studium bereits einmal ins Auge gefasst hatte, dann aber aus Zeitgründen doch nicht machte. Plötzlich hatte ich hunderte Seiten Unterlagen auf meinem Schreibtisch – und drei Wochenenden ausgefüllt mit Vorbereitungsseminaren und der Gelegenheit, neue Kontakte zu knüpfen zu Menschen, die auch auf Jobsuche oder in Veränderung waren.

Die Kosten von 2.000 Euro, die nicht vom AMS getragen wurden, da der Kurs am Wochenende stattfand, konnte ich mir aber leisten. Schließlich ist meine Kündigung mit der Ausbezahlung einer Abfertigung einhergegangen.

Wenn sowohl Plan A als auch Plan B aufgehen

Acht Monate lang beschäftigte ich mich intensiv mit der Rechtssprache und Fachterminologie und besuchte parallel dazu Gerichtsverhandlungen, um mich mit den praktischen Anforderungen an Dolmetscher bei Gericht vertraut zu machen. Eine sehr interessante Erfahrung. Im Oktober 2019 trat ich dann zur Prüfung an und bestand sie auch. Den für Anfang November geplanten nächsten Schritt – die Beeidigung durch die Präsidentin des Landesgerichts für Zivilrechtssachen – musste ich aber verschieben.

Der Grund war, dass mein Plan B – ein Volontariat in einem spanischsprachigen Land zu machen – ebenfalls aufging. Und so fuhr ich Anfang November 2019 für drei Monate nach Ecuador, um an der Universidad Politécnica Salesiana, die auch unterprivilegierten, indigenen Studentinnen und Studenten ein Universitätsstudium ermöglicht, an der Übersetzung eines wissenschaftlichen Buches mitzuarbeiten. Die Universität war so angetan von meiner freiwilligen Tätigkeit, dass mir der Autor des Buches anbot, es gegen Bezahlung eines Honorars in Österreich fertig zu übersetzen – was ich annahm. Damit sollte ich die nächsten drei Monate beschäftigt sein.

Nicht mehr weit bis zum Gipfel des Pichincha (4.690m), des Hausberges von Quito
Nicht mehr weit bis zum Gipfel des Pichincha (4.690m), des Hausberges von Quito
Foto: Wolf Lichtenwagner

Kurz vor meiner Heimreise entdeckte ich in einer Buchhandlung in Quito eine spannende Graphic Novel, die einen Kunstraub zum Thema hatte. Seit mehreren Jahren interessiere ich mich für das Genre Comic im Buchformat und habe vor kurzem den Verlag in Quito wegen der Übersetzungsrechte kontaktiert. Mal schauen… Zu Beginn meines Übersetzerstudiums stand ja die Vorstellung, dass ich einmal Literatur übersetzen würde, bloß hat sich meine Karriere dann anders entwickelt.

Das erste, improvisierte eigene Büro
Das erste, improvisierte eigene Büro
Foto: Wolf Lichtenwagner

Seit genau zwei Wochen bin ich jetzt auch als Gerichtsdolmetscher beeidet. Obwohl ich jetzt nicht weiß, ob mir meine neue Karriere als selbständiger Sprachdienstleister ausreichend Finanzmittel bescheren wird, ist der wichtigste Effekt der unfreiwilligen Veränderung eindeutig schon eingetreten: er hat mir frische Energie gegeben, meine Neugierde und Kreativität befeuert und mir mein Selbstbewusstsein zurückgegeben.


Mag. phil. Wolfgang Lichtenwagner ist allgemein beeideter und gerichtlich zertifizierter Dolmetscher für Englisch und macht beglaubigte Übersetzungen Englisch-Deutsch und Deutsch-Englisch. Außerdem übersetzt er aus dem Spanischen ins Deutsche und Englische.


Zum Thema:

Sie haben auch eine Geschichte zu Ihrem beruflichen Werdegang und wollen diese mit der STANDARD-Community teilen? DER STANDARD veröffentlicht jeden Monat eine Karriere-Usergeschichte.

So machen Sie mit:

  • Schicken Sie einen kurzen Text zu Ihrer Geschichte und Bilder Ihrer typischen Arbeitsutensilien von sich an Ihrem Arbeitsplatz oder während des typischen Arbeitsalltags per E-Mail an: stellungswechsel@derStandard.at.
  • Sobald Ihre Geschichte ausgewählt wurde, meldet sich ein STANDARD-Mitarbeiter bei Ihnen. Im Anschluss schreiben Sie dann einen Artikel (maximal 6.000 Zeichen) auf jobs.derStandard.at.
  • Jeden Monat wird eine neue Geschichte auf jobs.derStandard.at präsentiert.

DER STANDARD freut sich schon auf Ihren Beitrag!

Teilnahmebedingungen:

Das von dem User/der Userin gelieferte Text-, Bild- und Videomaterial kann von DER STANDARD online, gegebenenfalls in Print und auf den Social-Media-Kanälen von DER STANDARD vollständig und unbeschränkt verwendet werden.

DER STANDARD behält sich die Vornahme von Änderungen an dem übermittelten Material vor.

Der User/die Userin stimmt zu, dass er oder sie von DER STANDARD online, gegebenenfalls in Print und auf den Social-Media-Kanälen von DER STANDARD namentlich erwähnt werden darf.

Mehr zum Thema

Quiz: Welche Homeoffice-Persönlichkeit bist du?

Quiz: Welche Homeoffice-Persönlichkeit bist du?

Finde heraus welche Homeoffice Persönlichkeit in dir steckt.

Was Yogalehrer und Yogalehrerinnen verdienen

Was Yogalehrer und Yogalehrerinnen verdienen

Für Einzelunterricht verlangen YogalehrerInnen durchschnittlich 60 Euro pro Stunde, viele geben Workshops am Wochenende, um ihr Gehalt aufzubessern.

Offene Positionen bei Top-Unternehmen im Februar 2021

Offene Positionen bei Top-Unternehmen im Februar 2021

Ob bei der Österreichischen Post, der Raiffeisen Bank International oder Siemens AG - diese Unternehmen suchen tatkräftige Unterstützung im Team. Starten Sie durch und bewerben…