Autor: DI Christof Bräuer, BEd (Name der Redaktion bekannt)
Ein User beschreibt, wie er sich beruflich neu orientiert hat und vom Vermessungsingenieur zum Mittelschullehrer wurde.
Mit 17 Jahren überlegte ich noch, Orgelbauer zu werden, entschied mich aber nach der Matura dann doch, an der TU Wien „Geoinformatik und Vermessungswesen“ zu studieren. Ich begann zunächst in einem kleineren Vermessungsbüro; die Arbeit war abwechslungsreich: AutoCAD lernen, bei Grenzverhandlungen dabei sein, technische Pläne zeichnen und diese in Natura durch „Abstecken“ übertragen, alte Pläne im Vermessungsamt erheben und für Grenzfeststellungen berücksichtigen, Teilungspläne erstellen, Katastervermessungen, etc.
1998 fragte mich ein ehemaliger Studienkollege, ob ich Interesse hätte, in einer namhaften Software-Firma einzusteigen, die Vermessungssoftware programmiert, verkauft und Schulungen anbietet. Das Angebot als Software-Trainer und Bindeglied zwischen Anwendern und Entwicklern passte und so blieb ich zwei Jahre dort, hielt Schulungen von Bludenz bis Klagenfurt und half im Support (telefonisch und vorort).
Die vielen Kilometer im Auto und die damit ungenützte Zeit waren dann das K.O.-Kriterium, als ich im Jahr 2000 einem guten Bekannten zusagte, in Wien in einer österreichischen Firma mitzuarbeiten, die Geografische Informationssysteme (GIS) entwickelt, raumbezogene Daten erfasst und mit solch einem Rundum-Sorglos-Paket Gemeinden und Verbände beglückt. Das Aufgabengebiet und Arbeitsumfeld gefielen mir von Anfang an.
„Wenn Du glaubst, dass Abenteuer gefährlich sind, dann probier‘s mal mit Routine: Die ist tödlich!“
Nach 11 Jahren dachte ich mir aber: „Das kann noch nicht alles gewesen sein, in dieser Firma will ich nicht alt werden!“ Ich wollte weniger arbeiten und bekam überraschend wieder ein Angebot, diesmal vom Chef: Ein Jahr Bildungskarenz! Zunächst musste ich mich bei der Arbeiterkammer erkundigen, ob denn die Ausbildung mit dem erlernten Beruf etwas zu tun haben muss. Die Antwort war nein – es musste nur etwas sein, mit dem ich meinen Lebensunterhalt bestreiten kann. Ich weiß zwar nicht mehr, was mich dazu bewog, aber ich glaube, eine Freundin war das berühmte Zünglein an der Waage: Ich entschied mich, das internationale Montessori-Diplom für sechs bis zwölf-jährige Kinder zu absolvieren. Schon immer schlummerte nämlich in mir der Wunsch, mit Kindern und Jugendlichen die Welt zu entdecken, mit ihnen zu lachen, zu arbeiten und zu lernen.
Meine Frau und ich hatten zwar einen Kinderwunsch, aber es sollte nicht sein und nach einigen Rückschlägen schlossen wir dieses traurige Thema für uns ab.
Mir wurde alsbald klar, dass die Firma mich versuchsweise „in Pause“ geschickt hatte, da die Auftragslage nicht sonderlich gut war und zwei jüngere Kollegen die gleiche Arbeit wie ich erledigten, allerdings günstiger.
Das Diplom der ÖMG (Österreichische Montessori-Gesellschaft) kostete mich € 3.700,- und drei Jahre; die Kursmodule fanden berufsbegleitend statt. Aber diese Zeit war großartig: Ich lernte wieder staunen, wie systematisch die Biologie sein kann, mit welch tollen Materialien die Mathematik „begreifbar“ wird und vor allem, wie die Pädagogik Maria Montessoris meinem inneren Verständnis entsprach, mit Kindern umzugehen: nämlich ohne sie mit erwachsenen Maßstäben zu maßregeln, sondern ihrem inneren Entwicklungsplan zu vertrauen. Unwesentlich, dass wir im Kurs nur drei Männer und 30 Frauen waren…
„Das Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht.“ (Afrikanische Weisheit)
Schon während der Ausbildung begann ich in einer Montessori-Schule zu arbeiten. Nach einem Jahr wurde mir aber bewusst, dass ich mit dem Montessori-Diplom nur auf einem Bein stehe, da es von der Regelschule nicht anerkannt wird.
Also reifte in mir die Überlegung, nochmals die Schulbank zu drücken: Ganz pragmatisch entschied ich mich für das dreijährige Mittelschul-Lehramt, das im Vergleich zum AHS-Lehramt damals noch ein Jahr kürzer dauerte. Welche Fächer? Mathe und Musik, da mir das schon immer leicht fiel und mir einige Prüfungen angerechnet wurden. Das Ersparte reichte für zwei Jahre, meine Frau unterstützte mich mental und das dritte Jahr zusätzlich auch finanziell. Das Studium hatte seine Längen und als „Oldie“ kam ich mir manchmal seltsam vor. Aber die damalige intensive Praxis in Wiener Schulen empfand ich als sehr hilf- und lehrreich.
Der Schritt in den rauen Schulalltag im September 2015 war dann ein richtiger Hammer: Zunächst dachte ich leicht naiv: „Toll, eine Regelschule mit Montessori-Schwerpunkt!“ Aber die Ernüchterung kam schnell: Mein Jahrgangsteam hielt wenig bis nichts von Reformpädagogik, die zehn-jährigen Kinder hielten nichts von Respekt und ich konnte mit meiner Freundlichkeit und wertschätzenden Art genau nichts erreichen! Im Nachhinein hätte ich die Schule schon nach einem Jahr verlassen sollen, aber ich dachte, ich könnte irgendetwas verbessern.
„Love it, change it or leave it!“
Also habe ich viele Initiativ-Bewerbungen geschrieben und wie das Glück so spielt, sagte mir der Direktor einer privaten konfessionellen Neuen Mittelschule (NMS) sehr schnell zu. Ich musste nur Klassenvorstand (KV) einer ersten Klasse (zehn bis elf Jahre) werden. Mit einer sympathischen und erfahrenen Co-Klassenvorstand ging das erste Jahr wie im Flug vorbei: Ohne Übertreibung kann ich sagen, es war mein schönstes Schuljahr!
Ich liebte „meine“ Kinder von Anfang an und sie nannten mich liebevoll „Klassen-Papa“. Bei einem Lehrausgang „Wiener Wasser“ – wir besuchen den nicht mehr in Betrieb befindlichen Wasserturm Favoriten – erklärt uns ein Herr, dass der Mensch aus ca. 66% Wasser besteht. Auf der Rückfahrt fragt mich der elf-jährige Klassensprecher: „Herr Bräuer, lieben Sie Wasser?“ Ich darauf: „Was heißt lieben? Wasser ist lebensnotwendig, alles Leben entstand aus dem Wasser, ohne Wasser gäbe es kein Leben!“ Er wiederum: „Ja oder nein?“ Ich: „Natürlich ja!“ Darauf er mit einem Lächeln, fast triumphierend: „Also lieben Sie 66% von mir!“
Wie das Leben so spielt, musste ich als „Jüngster“ im Kollegium nach nur einem Jahr schon wieder gehen, da das Stundenkontingent vom Stadtschulrat gekürzt wurde.
Auf Empfehlung bewarb ich mich in Niederösterreich und hatte das Glück, in die Mittelschule im Wohnort zu kommen.
Der Wechsel zum Lehrer-Dasein war goldrichtig: Ich verdiene sogar etwas besser als früher, habe eine höhere Work-Life-Balance, bin glücklicher, weil ich überzeugt bin, einen sinnvollen Job zu haben und weil ich als ganzer Mensch gefordert bin mit all meinen Talenten und Emotionen.
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