Nur durch einen Zufall und vor allem: nur vorübergehend, bin ich als Österreicher vor beinahe 25 Jahren nach Deutschland gekommen. Kurz vor Ende meines Betriebswirtschaftsstudiums an der WU Wien entdeckte ich dort einen Aushang: “Deutsches Automobilunternehmen in Stuttgart sucht Praktikant für eine interne Change-Beratung”. Ich hatte keine Ahnung, um welches Unternehmen es hier gehen könnte – Autos waren nicht mein Interessensgebiet – aber mich reizte die Aussicht, Einblicke in das Change Management eines großen Konzerns zu bekommen.
Der Weg in die Automobilindustrie
Ich bewarb mich, führte ein telefonisches Jobinterview, bekam das Angebot für einen sechs-monatigen Praktikantenvertrag und nahm es an. Mit der festen Absicht, diese Zeit bestmöglich für mich zu nutzen und Erfahrungen zu sammeln, wo es nur ging, um danach einen wirklich guten Berufseinstieg hinzubekommen, war ich einer der ersten Vertreter der später so genannten “Generation Praktikum”.
Aus dem halben Jahr wurde eine über 20-jährige Laufbahn bei der Daimler AG, wo ich schon bald Führungsaufgaben übernahm. Damit verbunden: gutes Gehalt, Dienstwagen, Pensionszusagen, Mitarbeiter, Verantwortung. Ohne es ursprünglich beabsichtigt zu haben, machte ich also Karriere bei einem der großen Premium-Hersteller von Automobilen – ein Traum, den viele träumen. Es gab nicht wenige Kollegen, die von sich sagten, sie hätten „Benzin im Blut“. Ich ging in meinen Aufgaben auf. Zugleich blieb in mir eine leise Stimme des Zweifels am Produkt und seinen „Nebenwirkungen“, die ich erfolgreich beiseite schieben konnte.
Vom Change Management hatte ich mich in der Zwischenzeit verabschiedet und war in den Einkauf gewechselt. Diese Funktion ist sehr international ausgerichtet, mit Büros in vielen Ländern und Lieferanten überall auf der Welt verteilt. Englisch war meine Arbeitssprache. Nicht selten kam es vor, dass ich an einem Arbeitstag mit Kollegen aus Japan, der Türkei, den USA und Brasilien zu tun hatte. Außerdem war ich geschäftlich viel auf Reisen, lernte so viele Länder aus Arbeitssicht kennen, setzte mit meinen Teams globale Projekte um und sammelte Erfahrung darin, wie Zusammenarbeit über verschiedene Kulturgrenzen hinweg gelingen kann.
Langsames Umdenken
Als ich schließlich die Verantwortung für Daimlers Nachhaltigkeitspolitik in der Lieferkette übernahm, war das eine Tätigkeit, bei der ich persönliche Werte und Beruf plötzlich und erstmalig in großer Übereinstimmung erlebte. Es überraschte mich, dass die “alten Fragen” lauter wurden: Ist das, was ich hier tue, der Konzern, in dem ich arbeite, die Produkte, die wir erzeugen gedeihlich für diese Welt? Wozu will ich mit meiner Arbeit beitragen?
Es gab in dem Konzern sehr wohl die klare Absicht, die Produkte nachhaltiger zu gestalten. Der Trend zur Elektromobilität war erkannt und der Weg wurde immer entschlossener eingeschlagen. Auch die Einhaltung der Menschenrechte bei Lieferanten wurde zunehmend wichtig. Hier hatte ich die Chance, zusammen mit einem Expertenteam, einen Ansatz zu entwickeln, wie Menschenrechtsverletzungen in den Lieferketten im Ansatz erkannt und wie ihnen vorgebeugt werden kann. Die zentrale Frage für mich persönlich war jedoch, ob ich die Geduld aufbringen würde, der Entwicklung ihre Zeit zu geben.
Der entscheidende Impuls kam, als ein Programm aufgelegt wurde, bei dem MitarbeiterInnen großzügige Abfindungen für ihr freiwilliges Ausscheiden angeboten wurden. Ich unterschrieb einen Aufhebungsvertrag. Anders als bei manchem Kollegen, der diesen Schritt schon mit einem neuen Arbeitsvertrag in der Tasche ging, gab es bei mir keinen Plan B. Für mich war klar, ich mache ein Jahr Pause von der Erwerbsarbeit, um lange aufgeschobene Vorhaben zu realisieren: die Bewirtschaftung eines Weinbergs, das Kochen mit geretteten Lebensmitteln auf öffentlichen Plätzen oder die Produktion eines Brettspiels per Crowdfunding, das eine Bekannte erfunden hatte. Außerdem nahm ich mir Zeit für meine Familie und die inzwischen drei heranwachsenden Kinder.
Mit Kreislaufwirtschaft in die Selbständigkeit
Der Abschied fiel mir nach über 20 Jahren dann doch nicht ganz leicht, aber der Weg war vorgezeichnet. Mich trug das Ziel, während des Sabbaticals für mich mehr Klarheit zu finden, womit ich zukünftig mein Geld verdienen würde. Etwas “mit Sinn” sollte es sein. Ich konnte diese Formel aber noch nicht mit Leben füllen. Zunächst bewarb ich mich auf Positionen als Verantwortlicher für Nachhaltigkeit im Mittelstand. Aus verschiedenen Gründen wollte das jedoch nicht so recht klappen. Auch fehlte mir die tiefe Überzeugung, darin meinen Sinn zu finden.
Der Entschluss mich selbständig zu machen, reifte. Das Konzept der “circular economy” begann mich zu fesseln. Kerngedanke ist, dass Produkte und die darin enthaltenen Materialien am Ende eines Produktlebens nicht im Müll landen, sondern wieder einer Nutzung finden. Es stellt als Wirtschaftsprinzip bisherige Geschäftsmodelle auf den Kopf, indem es Abfälle, schädliche Emissionen aber auch unwürdige Arbeitsbedingungen möglichst weitgehend eliminiert. Ich hatte schon früher von den 5R’s gehört (Rethink, Reduce, Reuse, Repair, Recycle). Jetzt, auf der Suche nach “Sinn”, passten diese Überlegungen wie ein fehlender Puzzlestein in ein noch unfertiges Bild.
Heute bin ich als selbständiger Berater in diesem Bereich tätig und begleite vorwiegend mittelständische Unternehmen bei ihrem Umstieg in die Kreislaufwirtschaft. Ich habe außerdem einen Podcast aus der Taufe gehoben – #MüllistMist – mit dem ich den Ideen der Kreislaufwirtschaft zu mehr Bekanntheit verhelfe. Aus der Überzeugung, dass bei jungen Menschen noch besonders viel in diese Richtung möglich ist, biete ich pro-bono an Schulen sogenannte „Circular Hackathons“ an, bei denen Schüler ihre ersten zirkulären Projekte entwickeln.
Fazit
Der Schritt in die Selbständigkeit war bei mir eher der beruflichen Thematik und meiner Suche nach “Sinn” geschuldet, als ein langgehegter Traum. Aus der Sicherheit eines Konzerns hinauszutreten war, besonders für meine Familie, nicht ganz einfach. Das Gehalt und den Status eines Großkonzerns einzutauschen gegen die zunächst unsicheren Aussichten auf einem freien Beratermarkt, ist mental wie real eine Herausforderung.
Der Schritt hat sich aus heutiger Sicht gelohnt für mich, denn er war verbunden mit einer beruflichen wie privaten Selbstentfaltung. Ich bin sehr dankbar für die Früchte dieses Weges. Ich weiß, wofür ich arbeite und ziehe viel Befriedigung daraus, den Umbau unserer Wirtschaft und Gesellschaft hin zur Kreislaufwirtschaft mitzugestalten.
Dr. Christoph Soukup ist gebürtiger Österreicher und lebt mit seiner Familie in Stuttgart. Über 20 Jahre in leitenden Positionen in der Automobilindustrie tätig, begleitet er nun Unternehmen dabei, ihre Geschäftsmodelle auf Prinzipien der Kreislaufwirtschaft umzustellen, ohne ihre Profitabilität aus den Augen zu verlieren.
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